Sonntag, 22. Mai 2016

IS 3Teil: Auswirkungen des IS auf den Nahen Osten und Afrika


3. Auswirkungen des IS auf den Nahen Osten und Afrika

Die bisherigen Blogteile haben sich mit den Gründen für die Entstehung des IS sowie seiner Struktur befasst. Ziel dieses längeren dritten Teils der Reihe ist es kurz herauszuarbeiten, inwieweit der IS neben Syrien und Irak auch weitere Staaten im Nahen Osten aber auch in Afrika gefährdet. Konkret befasst sich der erste Abschnitt kurz mit der aktuellen Lage in Syrien und Irak als „Quelle“ des IS, im Anschluss folgt der Blick auf die direkten Nachbarstaaten, Jordanien und Libanon (3.2). Wie groß die Wirkung des IS auch auf andere ehemaligen Staaten des sog. Arabischen Frühling ist und warum, zeigen die Abschnitte 3 bis fünf zu Ägypten, Jemen und Libyen, auf die ein Exkurs zur Situation auf den afrikanischen Kontinent in Gänze sowie ein abschließendes Fazit folgt.


3.1 Die Lage in Syrien und Irak - Zahlen und Fakten
Ziel dieses Abschnittes ist es, insbesondere auf den humanitären Aspekt der Auswirkungen des IS in Syrien und Irak einzugehen, die aktuelle Entwicklung im Kampf gegen den IS folgt an anderer Stelle. Des Weiteren wird kurz zusammengefasst, wie das Leben im IS aussieht und schließlich auf das angespannte politische Klima im Irak hingewiesen.
Wie die Medien, renommierte Nachrichtensender wie das ARD, sowie Internationale Einrichtungen und Organisationen, Amnesty International, UNHCR sowie die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, immer wieder berichten, ist die Lage in Irak und vor allem in Syrien derzeit katastrophal. Zwar erklärte am 30.03.16 ein UN-Nothelfer Stephen O’Brien vor dem UN-Sicherheitsrat: „Deutlich weniger Zivilisten werden seit Beginn der Waffenruhe vor einem Monat getötet oder verwundet - wenigstens in manchen Landesteilen hat das den Menschen eine Atempause gegeben."[1] – allein die Gesamtzahlen liefern demgegenüber ein erschreckendes Bild. Trotz der nun angelaufenen UN gesteuerten Lieferungen von Hilfskonvois sind Millionen von Menschen ohne Wasser, Strom und die nötigsten Nahrungsmittel. Bilder wie aus der nun wieder erreichbaren Stadt Madaya belegen, dass Kinder die Hauptleidtragenden des Konflikts sind.[2] Doch nicht nur die vor Ort verbliebenen Syrer und Iraker sind unerträglichen Lebensbedingungen ausgesetzt, auch hunderttausende Flüchtende oder bereits in Flüchtlingslagern angekommene leiden: Die Nachbarstaaten Syriens, Jordanien und Libanon, sind mit den von ihnen aufgenommen Flüchtlingen – deutlich höheren Zahlen als in Europa – überfordert und dadurch innenpolitisch bedroht (s.u.), die Türkei bildet das Haupttransitland zur EU, welche, wie das immer wieder verzweifelte Ringen um eine angemessene Reaktion auf den Flüchtlingsstrom zeigt, vor einer Zerreißprobe steht.
Doch nicht nur Hunger sowie mangelnder Zugang zu Strom und Wasser belasten das Leben der Menschen in Syrien: Innerhalb des IS Territoriums wird die Bevölkerung darüber hinaus terrorisiert und abgeschreckt. So gibt es zahlreiche Belege für öffentliche Exekutionen, Amputationen, Auspeitschungen und die Zurschaustellung von verstümmelten Leichen auf den Straßen, Maßnahmen des IS, um die Menschen unter Kontrolle zu halten. Ein weiterer Punkt ist die Zwangsverheiratung von Mädchen ab 13Jahren mit IS-Kämpfern – Umstände, die an Afghanistan zur Zeit der Taliban erinnern. Warum die Menschen dennoch bereit sind unter dem IS zu leben? Vielen fehlt das Geld zur Flucht, andere schrecken die Bilder aus den Flüchtlingslagern ab, einige wollen die Familie oder die Heimat nicht verlassen und schließlich gibt es immerhin nicht zu vergessen zumindest gewisse staatsähnliche Strukturen im IS-Territorium (siehe Blog Teil 2). Außerdem gilt auch im mit IS regierten Nachbarland Irak sieht die politische Lage derzeit auch ohne Bürgerkrieg angespannt aus.
Steht der Irak vor der Implosion? Auf der einen Seite scheint es deutliche Erfolge gegen den IS im irakischen Norden zu geben, allein wie z.B. die Anschlagsserie mit Selbstmordattentätern vom 04.04.16 belegt,[3] wehrt sich der IS hartnäckig gegen seine Vernichtung. Hinzu kommt, dass das innenpolitische Klima, die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der eigenen Regierung, stark angeheizt ist. So berichtete das ZDF am Freitag, 11.03.16, von einem Ultimatum des schiitischen Klerus unter Führung von Muqtada as-Sadr an die Regierung Abadi. Konkret gab es die Forderung nach Einleitung von Reformen innerhalb von vierzehn Tagen sowie der Absetzung von korrupten Ministern, sonst werde die Gelehrtenschaft die Regierung übernehmen.[4] Am Samstag, 30.04.16, stürmte nun das Volk unter Leitung von Sadr, das im abgeriegelten Sicherheitstrakt von Bagdad gelegene Parlament. Auch wenn sich die Masse nach Aufforderung ihres Anführers bereits am folgenden Tag wieder zurückzog: Die Situation erinnert einerseits an den Beginn des sog. Arabischen andererseits  an die Machtübernahme von Khomeini 1979 in Iran. Was wären mögliche Folgen, sollte sich in Zukunft der schiitische Klerus doch noch durchsetzen? Dies würde zur Etablierung des Irak als einem schiitisch dominierten Staat führen und damit den bereits vorhandenen Konflikt in der islamischen Welt zwischen Saudi Arabien als Stellvertreter der sunnitischen Staaten und Iran für die Schiiten verstärken. Eine bereits offensichtliche Folge der schiitischen Demonstrationen angeheizt durch die Offensive gegen den IS ist außerdem die jüngste Anschlagsserie der ersten April Woche im Irak, welche sich fast ausschließlich gegen schiitische Ziele richtete.
Doch nicht nur Syrien und der Irak leiden unter dem IS, auch der übrige Nahe Osten und Afrika sind durch mögliche Schläferzellen und Selbstmordattentäter bedroht, vor allem wenn Jugendliche abwandern, sich dem IS anschließen und später radikalisiert in ihre Heimat zurückkehren. Hinzu kommt in den beiden direkten Nachbarländern Jordanien und Libanon die Flüchtlingssituation. Inwieweit diese die politische Stabilität der beiden Staaten beeinträchtigt ist Thema des folgenden Abschnittes

3.2 Jordanien und Libanon
Eine gemeinsame Betrachtung von Jordanien und Libanon?
Tatsächlich haben diese beiden Länder derzeit Gemeinsamkeiten, die ihre Zukunft massiv beeinträchtigen können: 1) Beide Staaten sind Anrainerstaaten von Syrien, vielmehr vom IS. 2) Sowohl Jordanien auf Seiten der Arabischen Allianz als auch Libanon vertreten durch die Hisbollah sind auf Seiten Assads im syrischen Bürgerkrieg/ Kampf gegen den IS beteiligt. 3) Beherbergen beide gemessen an der eigenen Bevölkerung eine sehr hohe Zahl an Flüchtlingen, im Libanon derzeit ein Viertel der eigentlichen Einwohner (1,1, Millionen Flüchtlinge vs. 4,4 Millionen Libanesen)[5] - wohl das bedrohlichste für die innere Stabilität beider Staaten – beide beherbergen Wieso bedroht diese Gesamtsituation die Stabilität beider Staaten?
Beide Länder Libanon wie auch Jordanien haben kein homogenes Staatsvolk. Im Libanon gibt es insgesamt 18 verschiedene Religionsgemeinschaften, wobei sunnitische sowie schiitische Muslime und maronitische Christen, die größten und mit Blick auf die Politik wichtigsten Gruppen darstellen und laut Verfassung von 1926 die Inhaber der wichtigsten Staatsämter stellen. In Jordanien ist zwischen den einheimischen oft noch in ihrem alten beduinischen Stammesdenken verwurzelten Jordanien auf dem Land, den königstreuen z.T. nicht ursächlichen Jordaniern und einem großen Anteil an palästinensischen Flüchtlingen, der ca. 50% der Bevölkerung ausmacht[6], zu unterscheiden. Welche Faktoren führen noch dazu, dass beide Staaten als anfällig für eine Implosion angesehen werden können?
Schauen wir zunächst einmal auf Jordanien. Jordanien ist eines der ärmsten arabischen Länder und ohne Erdölvorkommen sowie Wassermangel schon lange auf Finanzhilfen von außen angewiesen; hinzukommen ein Rückgang des Tourismus um 60% plus eine Arbeitslosenquote von 30%. Darüber hinaus ist bekannt, dass die ärmsten Gebiete des Landes schon seit Jahren als „Lieferanten“ von Kämpfern für die Vorläufer Organisationen des IS fungierten, die in ihrem – im Falle von Palästinensern angenommenen – Heimatland keine persönliche Zukunft sahen. Auch darf nicht vergessen werden, dass es auch in Jordanien in Folge des sog. Arabischen Frühlings Unruhen und Proteste gegeben hat. So gingen z.B. Anfang 2011 jeden Freitag Proteste nach Reformen des Systems insbesondere nach mehr Bürgerrechten und einem Ende der Korruption, die friedlich verliefen bis sie wegen Kritik an der Monarchie gewaltsam aufgelöst wurden. Kernreaktion des Monarchen war die Auflösung des Parlaments. Was sich die Jordanier von ihrem Herrscher wünsch(t)en, zeigt ein Satz aus einem „Brandbrief“, den Vertreter der Stämme im Februar 2011 verfassten:
„Noch vor Stabilität und ausreichenden Lebensmitteln will das jordanische Volk Freiheit, Würde, Demokratie und Gerechtigkeit, Menschenrechte und ein Ende der Korruption.“[7] Dies also sind Forderungen der beiden Hauptträger der damaligen Proteste, dem jordanischen Zweig der Muslimbruderschaft der Aktionsfront und der von jugendlichen getragenen Gruppe des 24. März. Wie sahen die Reaktionen des Regimes aus? Mit der erstmaligen Ernennung von Experten, so drei Wirtschaftswissenschaftlern als Kabinettsminister, sollten Wirtschaftsreformen angestrebt werden. Allein das Volk blieb misstrauisch und die Regierung selbst sah sich nicht als parlamentarisch an. Dies entspricht auch drei Schriften des Herrschers mit Reformvorschlägen, welche das Ziel den „Übergang zu einer echten parlamentarischen Regierung“ zu ermöglichen beinhalten. Es lässt sich insoweit festhalten, dass der Herrscher bereits Anfang 2011 – ohne Tausende syr.- irak. Flüchtlinge und den IS als Nachbarn unter starkem Druck zu Veränderungen stand. Des Weiteren fand seine Entscheidung, sich der Allianz gegen den IS anzuschließen, zunächst kaum Rückhalt in der Bevölkerung – dies änderte sich erst, als der IS einen abgestürzten jordanischen Piloten durch Verbrennung vor offener Kamera hinrichtete. Auch wenn die Jordaniern nun eher hinter dem Kampf gegen den IS stehen, fehlt es nach wie vor an der Durchführung der eingeforderten Reformen und es ist leicht nachvollziehbar, warum das Land durch die neuen Flüchtlingsströme überfordert ist.
Wie sieht es nun im Libanon aus? In wirtschaftlicher Hinsicht lässt sich klar feststellen, dass der Libanon deutlich besser dasteht als Jordanien, doch das Land blickt u.a. aufgrund der konfessionellen Situation bereits auf mehrere Bürgerkriege zurück. Als besonders problematisch für den Libanon ist die Rolle der Hisbollah als Vertreter der Schiiten zu betrachten, die z.B. neben der Staatsarmee selbst die größte bewaffnete Gruppe im Land stellt. Hier ergibt sich nun folgende Schwierigkeit: Libanon gehört zur Arabischen Liga, welche weitgehend aus sunnitisch regierten Staaten besteht und sich im syrischen Bürgerkrieg vom Assad-Regime (als Alawit der Schia zugehörig) zugunsten der Opposition abgewendet hat. Die Hisbollah hingegen unterstützt als schiitische Gruppe das Assad-Regime im Kampf gegen den IS – und wurde nun am 11.03.16 von der Arabischen Liga unter Enthaltung von Libanon und Irak zur Terrororganisation erklärt[8]. Neben der Belastung des Systems durch Flüchtlinge, welche das wacklige konfessionelle Gleichgewicht bedrohen, könnte diese Entscheidung der Arabischen Liga das Land nun zusätzlich von den sunnitischen Staaten entfremden, denn im Libanon selbst ist die Hisbollah als ein wichtiger Faktor für die Funktionsfähigkeit des Staates zu werten – dessen Stabilität schon seit 2013 u.a. durch die Nichtbesetzung des Staatspräsidentenamtes gefährdet ist.[9] Es bleibt abzuwarten, ob aktuelle Finanzhilfen, so von Frankreich, ausreichen, um den Balanceakt von Libanon und Jordanien langfristig zu unterstützen oder ob diese beiden Staaten in Kürze sekundäre „Opfer“ des syrischen Bürgerkrieges und des IS werden. Ganz ähnlich wie Ägypten, welches mittlerweile bereits zwei Revolutionen seit Anfang 2011 hinter sich gebracht hat.

3.3 Ägypten
Im Jahr 2011 überraschte das ägyptische Volk die Welt als es im Einklang mit dem Militär den langjährigen Präsidenten Mubarak zu Fall brachte; es folgte ein zweiter Umsturz – erinnernd an einen Militärputsch – 2013 gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Mursi[10]. Seitdem regierte der ehemalige General as-Sisi als neugewählter Präsident das Land mit eiserner Faust, doch die Lage ist sowohl innenpolitisch als auch durch die außenpolitische Situation mit dem IS angespannt.
Zunächst ein kurzer Blick auf die Innenpolitik. Wie in den meisten Staaten des sog. Arabischen Frühlings ist die Wirtschaftslage Ägyptens auch fünf Jahre später angespannt: es gibt eine große Zahl arbeitsloser Jugendlicher; Gelder, welche von den Golfstaaten zur Entwicklung gezahlt werden, sind bisher nicht erfolgreich eingesetzt worden. Vergleicht man die Regierung Sisi mit dem Regime Mubarak, ist darüber hinaus festzustellen, dass Sisi einen deutlich repressiveren Kurs fährt – so beläuft sich die Zahl der politischen Häftlinge derzeit auf ca. 40.000, viele davon Oppositionelle aus den Jahren 2011-2013, nicht zu reden vom Verbot der Muslimbruderschaft.[11] Zu dieser innenpolitischen Entwicklung im Kernland gesellt sich die Auswirkungen des IS, die sich zum einen in wiederholten Anschlägen im ganzen Land auch innerhalb von Kairo äußern, ganz besonders aber den Sinai betreffen. Insbesondere für den Nordsinai gilt, dass die Armee und Präsident Sisi hier keinerlei Einfluss mehr haben und dieses Territorium sich de facto in der Hand des IS befindet, der sich mit der dort ansässigen lokalen Gruppe der  Ansar Bayt al Maqdis verbündet hat. Ein Bündnis, welches möglicherweise auch für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeuges im vergangenen Jahr verantwortlich zeichnet und für eine Verschlechterung der politischen Beziehungen zwischen Ägypten und Russland sorgte.
Repressionen gegen das Volk einerseits, Machtlosigkeit angesichts des IS im eigenen Land andererseits: Das Vertrauen der Menschen in Präsident Sisi schwindet. Erneut gehen - wie die Berichterstattung von al-jazeera zeigt – die Menschen in Ägypten auf die Straßen[12]. Sie haben 2011 und 2013 gelernt, dass sie das Recht haben, ihre Meinung zu sagen und das tun sie. Wird es infolge von IS und repressivem Regime zu einem erneuten Umsturz am Nil kommen? Dies bleibt abzuwarten, sicher ist jedoch, dass das ägyptische Volk seine Meinung kundtun wird und seinen 2011 neu eingeschlagenen Weg zu mehr Mitspracherecht weitergeht.

Bisher hat der dritte Blogteil mit Ausnahme von Syrien mit weitgehend intakten Staaten befasst, deren Stabilität vom IS bedroht ist. Welche Rolle spielt der IS nun im Jemen und in Libyen, zwei Staaten, welche 2011 zunächst auch erfolgreiche Revolutionen hinter sich gebracht haben, seitdem aber in Bürgerkriegen versinken? Werfen wir zunächst einen Blick auf den Jemen, bevor Libyen thematisiert und in einem kleinen Exkurs auf die Gesamtsituation in Afrika eingegangen wird.

3.4 Jemen
Was hat der Jemen, am unteren Zipfel der arabischen Halbinsel gelegen, mit dem IS zu tun? Tatsächlich ist der IS selbst hier allenfalls marginal präsent als Drahtzieher von Selbstmordattentaten wie z.B. am 20.03.2015 auf eine Moschee in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa mit über 130 Toten. Aber allgemein gilt, dass schon seit Jahren Trainingscamps für terroristische Gruppen, so al-Qaida, im Land etabliert sind. Entscheidend für einen Blick auf die Situation im Jemen im Kontext IS ist jedoch eher die dortige politisch-religiöse Situation mit ihren überregionalen Auswirkungen. Dies gilt insbesondere für das Verhältnis Saudi-Arabien versus Iran, also den Repräsentanten der beiden Ausprägungen des Islam, Sunna und Schia. Doch zunächst gilt es kurz auf die jemenitische Entwicklung seit dem Sturz des ehemaligen Präsidenten Saleh im Zuge des sog. Arabischen Frühling 2011 einzugehen.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass es trotz relativ zügiger Wahl des neuen Präsidenten Rabbo Mansur Hadi seit 2011 keine klare Staatsstruktur im Jemen gibt.[13] Hierfür sind insbesondere der historisch bedingte Nord-Süd-Gegensatz bzw. der Widerspruch zwischen Stadtkultur und Stammeskultur einerseits sowie die schlechte Wirtschaftslage mit hoher Arbeitslosigkeit andererseits zentrale Gründe. Hinzu kommt, dass sich die Bevölkerung religiös in Angehörige der Sunna – so z.B. der Präsident und der Süden – und in Angehörige der schiitischen Untergruppe der Zaiditen (fünfer Schiiten) repräsentiert durch die Huthis unterscheidet. Letztere, von der gewählten Regierung Hadi als Rebellen bezeichnete, haben es bis 2015 geschafft weite Teile des Landes v.a. den Norden und Westen sowie die Hauptstadt Sanaa zu besetzen und damit den Präsidenten Hadi zur Flucht ins Nachbarland Saudi-Arabien gezwungen. Von dort aus werden nun im Auftrag von Hadi sowie inoffiziell im Kampf gegen das entstehen einer schiitischen Achse mit Billigung der Arabischen Liga Angriffe gegen die Huthis erfolgen und Truppen entsandt.[14] Ein Vorgehen, welches das Land laut UN-Angaben rund ein Zehntel seiner Bevölkerung (2,5Millionen) an Vertriebenen gekostet hat plus weitere 27.000 Verletzte und über 5.800 Tote, wobei Kinder die Hauptleidtragenden sind. Welche Reaktionen bzw. Hilfe gibt es angesichts dieser Situation seitens der übrigen insbesondere der westlichen Welt?
Hier ist zunächst festzuhalten, dass es lange Zeit eine schweigende Akzeptanz des saudischen Vorgehens durch den Westen gab, schlicht weil man auf die Unterstützung Saudi-Arabiens im Kampf gegen den IS angewiesen ist und auch den Einfluss des Landes in der Arabischen Liga. So gab es tatsächlich erst Ende 2015 einen ersten Anlauf die Kriegsparteien an den Verhandlungstisch zu bringen. Ergebnis war ein ab dem 15.12.2015 gültiger Waffenstillstand, der allerdings von Beginn an brüchig war und schließlich von den Huthis bereits am 2.1.2016 für beendet erklärt wurde. Neue Gespräche unter Führung des UN-Sondergesandten Ismail Ould Cheikh Ahmed am 23.03.2016 sehen nun einen erneuten Waffenstillstand ab dem 10.04.2016, sowie darauf aufbauende Verhandlungen in Kuwait ab dem 18.04.2016 vor. Ob es gelingt diese „letzte Chance“[15], wie es der UN-Sonderbeauftragte nennt, zu nutzen? Die Waffenruhe hat am 10.04.2016 tatsächlich begonnen, doch zu Verhandlungen ist es bisher nicht gekommen. Es scheint, als bleibe der Jemen weiterhin sowohl ein Opfer des Kampfes um die Vorreiterstellung in der islamischen Welt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran als auch des mangelnden internationalen Interesses angesichts des relevanter scheinenden Kampfes gegen den IS. Eine Politik, welche schnell fehl gehen kann, denn der Jemen ist schon als Trainingsgelände für Terrorgruppen bekannt  - al-Qaida hat bisher nur Profit aus dem Bürgerkrieg gezogen[16] - und der derzeit im Rückzug befindliche IS, wird sicherlich nicht zögern, sich dort anzusiedeln – wie schnell er dazu in der Lage ist, belegen die in Libyen befindlichen Ausbildungslager.

3.5 Libyen
Wie soeben gezeigt, hat sich die Situation im Jemen nach dem scheinbar erfolgreichen Sturz von Präsident Salih 2011 hin zu einem Bürgerkrieg sogar zu einem zwischenstaatlichen Konflikt entwickelt. Ganz ähnlich sah es bis vor kurzem in Libyen aus. War nicht auch in diesem Land der „Arabische Frühling“ erfolgreich? Ja, 2011 gelang es den libyschen Rebellen mit ihrer neu gebildeten Führung von der Stadt Bengasi aus mit Unterstützung der NATO das Regime Gaddafi zu stürzen[17]. Doch schnell zeigte sich, dass die neue gewählte Regierung nicht allen Bevölkerungsgruppen – auch hier gibt es Differenzen zwischen Stadt- und Landkultur[18] – entsprach, was schließlich bis 2015 zu einer gespaltenen Regierung des Landes führte. Noch bis Anfang April diesen Jahres befand sich die Hauptstadt Tripolis in den Händen der moderat islamistischen Oppositionsregierung, während die westlich eingestellte und anerkannte Regierung in Tobruk saß. Eine Situation, die für das gesamte Land eine Pattsituation ohne Entwicklung im Hinblick auf dringend benötigte Reformen nach dem Regime Gaddafi darstellte, Hilfe im Kampf gegen die Flüchtlingsströme minimalisierte und zudem dem IS die Etablierung von Ausbildungslagern im Land erleichterte. Folglich ergibt isch eine Bedrohung insbesondere für das Nachbarland Tunesien (siehe Blog 4) aber auch Europa und ganz Afrika. Wie sieht die Lage aktuell aus?
Im Dezember 2015 kam es unter Vermittlung der UN zu einem Friedensabkommen mit dem Ziel, zunächst eine Einheitsregierung in Libyen zu etablieren und dann vertreten durch die USA, Frankreich und Großbritannien mit Luftangriffen gegen die im Land befindlichen IS Ausbildungslager vorzugehen. Am 31.03.16 ist nun der Chef der international anerkannten Einheitsregierung, Ministerpräsident Fajis Sarradsch, trotz des Widerstandes der islamistischen Führung in Tripolis eingetroffen; dabei sagte er: „Es ist Zeit für all uns Libyer, zum Wohle Libyens zusammenzuarbeiten“ und „Vergeltung, Ausgrenzung, Antipathie und Hass bauen keinen Staat auf.“[19] Diese Aussagen machen Hoffnung auf eine produktive Politik im Sinne Libyens aber auch gerade in Sachen Flüchtlingspolitik für Europa und vielleicht im Hinblick auf ein internationales Vorgehen gegen den IS im Land – wenn die neue Regierung dem zustimmt. Mittlerweile ist die islamistische Schattenregierung vor genau einem Monat, am 06.04.16, zurückgetreten, ob dieser Rückzug tatsächlich von allen Mitgliedern dieser Gruppe getragen wird, ist unklar und wie ein letzter Bericht des UN-Sondergesandten Kobler vom 29.04.16 zeigt, stehen auch nicht alle Libyer hinter der neuen Regierung, die sie als vom Westen bevormundet ansehen. Tatsache ist, dass die Libyer dringend ein funktionierendes System brauchen, denn trotz seines Erdölreichtums steht das Land fünf Jahre nach Gaddafi in sozialer Hinsicht äußerst schlecht da, wie der UN-Sonderbeauftragte Kobler berichtet:
„Es gibt keine Medizin in den Krankenhäusern, nur noch auf dem freien Markt, es gibt keine Subventionen mehr für die Nahrungsmittel, und das in einem potenziell ölreichen Land, was reich war, was wirklich Subventionen verteilt hat, weil sie sich das leisten konnten".[20]
Anders gesagt auch Libyen ist derzeit auf humanitäre Hilfe angewiesen, nicht nur auf Gelder die im Kampf gegen die Flüchtlingsströme von Europa geleistet werden oder eine gezielte Anti-IS Politik. Vielmehr gilt es nun die frisch etablierte Einheitsregierung zu unterstützen und zeitnah soziale und wirtschaftliche Reformen auf den Weg zu bringen, um auf diese Weise zum einen die Libyer für ihre neue Regierung zu gewinnen und zum anderen dadurch die Attraktivität des IS – der ja bereits in der Stadt Sirte ansässig ist – zu vermindern und ihm quasi den Anhänger-Zustrom abzugraben. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Situation in ganz Afrika von großer Bedeutung, wie der folgende kurze Exkurs zeigen wird.

Exkurs: Afrika und der militante Islam
Wie wir bisher gesehen haben, vereinigt die meisten der bisher betrachteten Staaten, dass die Bevölkerung unzufrieden mit ihrer Regierung war bzw. ist, eine große Quote an Arbeitslosen existiert und starke Armut herrscht – was die Länder zum idealen Rekrutierungsfeld für den IS oder auch al-Qaida macht. Genau diese Situation findet sich entsprechend in vielen afrikanischen Staaten, z.B. Niger, Mali, Nigeria usw. Die meisten Leser sind sicherlich auch mit der bekanntesten afrikanischen Terrormiliz vertraut, Boko Haram, die in Nigeria ein eigenes Territorium beherrscht und mittlerweile ihre Loyalität zum IS bekannt gegeben hat. Erst zu Anfang des Jahres gab es u.a. an der Elfenbeinküste Anschläge auf Hotels, bereits vor zwei Jahren ging die Meldung von entführten Schülerinnen durch die Nachrichten. Alles der IS? Es ist tatsächlich schlimmer: gerade weil viele afrikanische Staaten insbesondere unter wirtschaftlich und sozialen Missständen leiden, welche von den Regierungen kaum angegangen werden, wird Afrika von IS und al-Qaida gleichzeitig im Wettkampf um Anhänger gewissermaßen „heimgesucht“. Das bedeutet nicht, dass die beiden großen islamistischen Vorreitergruppen selbst vor Ort sind, vielmehr rekrutieren sie aus lokal ansässigen islamistischen Gruppen, indem sie diese mit Geld und Propaganda unterstützen und dafür Loyalitätsbekundungen und Einfluss in für sie so unbekannten Territorien erhalten. Aus Sicht Europas und der restlichen Welt bedeutet dieses Szenario, das Hilfe für die afrikanische Staatenwelt dringend und zielgerichtet geleistet werden muss, da Afrika sonst sicherlich langfristig zum Auffangbecken für islamistische Terroristen werden wird, sollte es z.B. gelingen, den IS aus Irak und Syrien zu vertreiben.[21]

3.6. Zwischenfazit
Wie die Darstellung zeigt, hat der IS große Auswirkungen auf viele Staaten im Nahen Osten und auch auf Afrika, deren Stabilität durch die politische Entwicklung sowie die Flüchtlingsströme der letzten Jahre bedroht ist. Ob Syrien und Irak je wieder zu den Staaten werden können, die sie vor syrischem Bürgerkrieg und IS waren, ist auch durch die jüngste Entwicklung in Irak sehr fraglich; wie lange die beiden direkten Nachbarn Jordanien und der Libanon noch fähig sind ihre Regierungen vor der Implosion zu bewahren ebenso. Ägypten steht möglicherweise ebenfalls wieder kurz vor einer Demonstrationswelle gegen die gegenwärtige Regierung, während im Jemen um Verhandlungen über einen Frieden gerungen wird und in Libyen die gerade frisch eingesetzte Einheitsregierung um Akzeptanz durch das eigene Volk ringt. Was folgt daraus für die restliche Welt, für Europa, USA und Russland? Es muss gehandelt werden und zwar auf mehreren Ebenen: im direkten Kampf gegen den IS und im Hinblick auf Erfolge in den Gesprächen für ein Syrien nach dem Bürgerkrieg, der Umgang bzw. die Politik im Hinblick auf Flüchtlinge muss verbessert werden und es müssen Maßnahmen eingeleitet werden, die verhindern, dass Afrika noch mehr zu einem Rekrutierungsfeld und Rückzugsort für islamistische Gruppen wird. Dabei geht es nicht nur um die dortige Bevölkerung, sondern auch um den Schutz von Anliegerstaaten (auch Europa) und ganz besonders des einzigen Landes, das bisher mit der Etablierung demokratischer Strukturen aus dem sog. Arabischen Frühling hervorgegangen ist, Tunesien. Inwieweit der IS diese junge Demokratie bedroht wird im nächsten Blogteil thematisiert.


[1]              Clement, Kai (30.03.16): Ein winziger Hoffnungsschimmer – UN- Nothelfer zur Lage in Syrien, in: http://www.tagesschau.de/ausland/un-notfhelfer-syrien-101.html, zuletzt eingesehen am 17.04.16
[2]              siehe dazu z.B. : http://www.tagesschau.de/kinder-syrien-101.html
[3]              siehe dazu: http://www.tagesschau.de/ausland/irak-anschlaege-105.html
[4]              Entsprechende Berichterstattung in der heute Sendung des ZDF, den ARD tagesthemen und als livestream bei al-jazeera.
[5]              Stryjak, Jürgen (30.03.2016): „Eine Tickende Bombe“ – Eine Million Flüchtlinge im Libanon, in: http://www.tagesschau.de/ausland/libanon-stimmung-101.html.
[6]              Jordanien, in: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Jordanien_node.html
[7]              Mende, Claudia (2011): Bröckelnde Tabus – Proteste in Jordanien, in: https://de.qantara.de/content/proteste-jordanien-brockelnde-tabus
[8]              o.A. (11.03.2016): Arabische Liga erklärt Hisbollah zur Terrororganisation, in: http://www.tagesschau.de/ausland/arabische-liga-hisbollah-101.html.
[9]              siehe dazu ausführlich: Wimmern, Heiko (08/2013): Libanons langsame Selbstzerstörung, in: http://www.swp-berlin.org/publikationen/swp-aktuell-de/swp-aktuell-detail/article/libanons_langsame_selbstzerstoerung.html und ders. (April/2015): Libanesischer Balanceakt am Abgrund, in: http://www.swp-berlin.org/publikationen/swp-aktuell-de/swp-aktuell-detail/article/libanon_balance_am_abgrund.html, zuletzt eingesehen am 30.04.2016
[10]             Aufgrund der Vielzahl an Dokumentationen und Publikationen gerade zum Sturz Mubaraks hier nur zwei ausgewählte Hinweise für den interessierten Leser: a) der Link zum Dossier der ARD mit allen Sendungen, Berichten und Audios von Beginn der Unruhen in Ägypten bis Anfang 2012 http://www.tagesschau.de/ausland/aegyptenwahldossier100.html und b) verschiedene Analysen und Stellungnahmen bis zur gegenwärtigen Entwicklung (Übersicht der verfügbaren Materialien) bei der Stiftung für Politik und Wissenschaft http://www.swp-berlin.org/de/nc/suchergebnisse/group/flat/extResume/1/monthFrom/-1/monthTo/-1/sword/%C3%84gypten/type/1/_sections/0/pointer/4/ext/0/lang/-1/submit_button/Suchen/freeIndexUid/-1/results/10/defOp/0/sections/0/media/-1/order/mtime/desc/0/authors/-1/researchgroups/-1/publicationdate/-1.html?tx_indexedsearch[publicationdateto]=-1
[12]             Siehe dazu auch einen Bericht des Spiegel vom 26.04.16: Proteste gegen Sisi, Dutzende Journalisten in Ägypten festgenommen, in: http://www.spiegel.de/politik/ausland/aegypten-journalisten-bei-anti-sisi-protesten-festgenommen-a-1089339.html
[13]             ausführlich zur Entwicklung im Jemen seit 2011 siehe: Transfeld, Mareike (2015): The Failure of the Transitional Process in Jemen, in SWP-comments 2015/C06 Februar 2015, http://www.swp-berlin.org/en/publications/swp-comments-en/swp-aktuelle-details/article/yemen_transitional_process_failed.html
[14]             Es gibt einige Artikel unterschiedlicher Autoren mit Erklärungen für die aktuelle Politik Saudi-Arabiens im Jemen, z.B. mit historischer Perspektive, die hier nicht diskutiert werden können. Interessenten seien verwiesen auf die Sammlung an Jemenartikeln bei qantara.de http://de.qantara.de/search/overview/jemen;
[15]             o.A. (23.03.2016): „Unsere letzte Chance“, in: http://www.tagesschau.de/ausland/jemen-469.html
[16]             siehe dazu ausführlich: Steinberg, Guido (2015): Avantgarde des internationalen Terrorismus, in: SWP-Aktuell 2015/A 87, Oktober 2015, http://www.swp-berlin.org/publikationen/swp-aktuell-de/swp-aktuell-detail/article/avantgarde_des_internationalen_terrorismus.html
[17]             Zum sog. Arabischen Frühling in Libyen siehe: Bundeszentrale für politische Bildung (24.10.2011): Libyen nach der Revolution des 17. Februar, in: http://www.bpb.de/internationales/afrika/arabischer-fruehling/52398/libyen
[18]             Dazu ausführlich:  Pedela, Kurt (2012): Gaddafis Vermächtnis, Zürich und o.A. (2009): Libyen: Geschichte, Landschaft, Gesellschaft, Politik, Wien.
[19]             o.a.: (31.03.16): Einheitsregierung nimmt Arbeit in Tripolis auf, in: http://www.tagesschau.de/ausland/libyen-255.html
[20]                Ammeling, Anne (29.04.16): Libysche Regierung ringt um Kontrolle, in: http://www.tagesschau.de/ausland/libyen-einheit-regierung-101.html
[21]             Eine ausführliche Darstellung zu militantem Islam/Jihadismus in Afrika findet sich bei: Steinberg, Guido/Weber, Annette: Jihadismus in Afrika, SWP 2015/S07, März 2015, in: http://www.swp-berlin.org/publikationen/swp-studien-de/swp-studien-detail/article/jihadismus_in_afrika.html